Der erste von mehreren Toten, die ich im Laufe der Heftrecherchen sah, lag auf einem Tisch, die Haut aufgeplatzt, Knochen schauten hervor. Ein junger Mann stand neben der Leiche und dokumentierte die Verletzungen. Der gewaltsame Tod als realer Bestandteil unseres Alltags: daran ist nichts unterhaltsam, nichts schaurig oder gruselig. Jeder Tod ist eine Tragödie.
Wir verabscheuen das Böse, und gleichzeitig betrachten wir es gebannt. Im Fernsehen töten sie zu jeder Tages- und Nachtzeit, inflationär fahnden Polizisten und Rechtsmediziner nach Bestien, in Buchhandlungen reiht sich Krimi an Krimi. Der Psychologe Bruce M. Hood erinnert sich in seinem Beitrag in diesem Heft daran, wie er als Kind Dinge genoss, vor denen er sich fürchtete. Er vermutet, dass ein Teil dieser Lust auch dem Erwachsenen erhalten bleibt – allerdings nur, solange wir uns in sicherer Entfernung vom Bösen wissen. Die Faszination schwindet, sobald das Grauen in die eigene Welt einbricht.
Häuser, in denen ein Mord geschah, verlieren an Wert, bevor sie, falls überhaupt, wieder einen Käufer finden. Wo das «Waldeggli» im solothurnischen Seewen stand, in dem an Pfingsten 1976 ein fünffacher Mord geschah, neigen sich heute Ebereschen im Wind. Der Journalist Jost Auf der Maur berichtet vom wohl bekanntesten Mordfall der Schweiz – plötzlich war geschehen, was man nur aus Amerika kannte.
Es gibt die Ungeheuer, aber meistens sind es die gewöhnlichen Mitmenschen, die zuschlagen, wie das Wochenprotokoll von Zürcher Opferberatungsstellen zeigt. 2010 starben in der Schweiz 53 Menschen eines gewaltsamen Todes, die Hälfte davon infolge häuslicher Gewalt. Zu Hause ist es am gefährlichsten.
Nach Abschluss der Recherchen fuhr ich mit Mann und Baby in die Ferien. Im Gepäck einen Kommissar auf der Suche nach einem Axtmörder. Eine unglückliche Buchwahl. Mein Mann liess mich im Ferienhaus im Wald allein zurück: «Zwei Nächte nur, die Arbeit», sagte er. Es wurden zwei sehr lange Nächte.