Warten auf die Wiedergeburt

Als «Todesschmerz» beschreibt Richard Oetker den Moment, als fast zehn Sekunden lang Strom durch seinen Körper floss. Der damals 25-jährige Industriellensohn lag 48 Stunden in einer zu kleinen Holzkiste, als ihn Stromschläge zum Invaliden machten. Der Schmerz war so intensiv, dass er hoffte, «mit dem Tod diese Erfahrung zu beenden». Dreissig Jahre liegen zwischen seiner Entführung und dem Gespräch mit dem NZZ Folio, in dem er über diese Schmerzerfahrung spricht.

Wenn so ein Todesschmerz chronisch ist, sich auf Dauer im Körper einrichtet, macht er jeden Moment der Existenz zur Qual. Der Schmerz grenzt den Menschen aus, lähmt sein Denken und Handeln, zieht ihn von seinen Leidenschaften ab und lässt stattdessen die ganze Welt zum Leid werden. Der Mensch sehnt sich nach dem Opiat, das den Schmerz für drei bis vier Stunden stillt, und schon in dem Augenblick, da die Tablette geschluckt wird, macht ihn die Aussicht auf Entspannung ruhiger. Beim Schmerz ist nicht nur der Körper betroffen, sondern der Mensch als Ganzes.

Es hat lange gedauert, bis diese Erkenntnis in die Praxis gelangte und die Schmerztherapie Mediziner, die es sich mit Aussagen wie «Damit müssen Sie eben leben» bequem gemacht hatten, aus ihrem Elfenbeinturm drängte. Schmerzen lassen sich lindern – manchmal sogar verlernen, wie der Schmerzforscher Walter Zieglgänsberger propagiert, indem er den Patienten die Angst vor der schmerzenden Bewegung nimmt . Stimmungsaufheller helfen dem Gehirn beim «Re-Learning».

Aber körperliche Schmerzen werden nicht nur gefürchtet und gemieden, sie werden auch gesucht: um sexuelle Lust zu erleben oder gesellschaftliche Zugehörigkeit zu demonstrieren. Tätowierungen, Brandmale und Beschneidungen – Schmerz begleitet weltweit Initiationsriten. Die Performancekünstlerin Marina Abramovi´c fügt sich Schmerzen zu, um ihr Bewusstsein zu erweitern.

Sie glaubt, dass nur befreit leben kann, wer sich von der Angst vor Sterblichkeit und Schmerz trennt.

Sollte sich im Schmerz tatsächlich etwas Gutes verbergen, dann der Moment, in dem er uns verlässt und wir aus der Todessehnsucht, die er in uns weckte, wiedergeboren ins Leben zurückkehren.