Mordfall Mirchel (NZZ Folio)

Als Heidi Baumgartner vor zehn Jahren mit ihrer Familie aus dem Berner Oberland nach Mirchel ins Emmental zog, pflanzte sie für jedes der sechs Kinder einen Obstbaum. Sie säte Wildblumen, Rüben und Fenchel, schmückte den Garten mit Thymian, Holunder und Haselsträuchern. Bald fehlten in der Märchenwelt nur Bienen, um den Kindern die Natur noch näher zu bringen. Seither wartet Heidi Baumgartner jeden Frühling auf den Tod.

Ein Film, den sie im April 2014 mit ihrem Handy aufnahm, zeigt einen pelzigen schwarzen Haufen: «Stechen sie noch, Mueti?» fragt eine Kinderstimme aus dem Off. Bienen wanken über tote Artgenossen. «Nein», antwortet Mueti, «sie wurden vergiftet.»

Es sei ihr unangenehm, darüber zu reden, sagt Baumgartner, und doch drängt es sie, «meinen Kindern, der Natur – überhaupt der Welt zuliebe». Sie weiss, dass viele denken, es liege an ihr, der Hobbyimkerin – sonst könnte es ja nicht sein, dass ausgerechnet in ihren Stöcken immer wieder Zehntausende Bienen verenden. Andere raten ihr, nicht so genau hinzuschauen. Sie solle tun, was andere Imker auch machten: vom Nachbarn oder Bauern einfach mal «es Nötli» annehmen. Als kleine Entschädigung für die Schäden. Es seien ja nur Bienen. Wegen ein paar Vergiftungsfällen im Jahr müsse man doch kein «Büro aufmachen».

Heidi Baumgartner trägt Jeans und einen Pullover, der ihr über die Schulter rutscht, die langen Haare hat die 42jährige zu einem Knäuel gedreht und hochgesteckt. Ein Jammeri ist Baumgartner nicht, ihr Vater war Bergbauer, sie ist Kinderkrankenschwester; ihre Hände sind so gross, dass sich Babies darin wohl fühlen. Baumgartner blättert in ihren Unterlagen, zwei prallgefüllte Ordner, «damit ich keinen Seich erzähle». 2014 fing sie an, die Geschehnisse zu protokollieren, auf dass sie nachts zur Ruhe kam. Ihre sechs Kinder hatten sie weniger Schlaf gekostet als die Sorge um ihre Bienen.

Damals starben nicht nur Baumgartners Bienen, in der Region verendeten über 150 Völker, rund eine Million Tiere. Anfangs ahnte keiner, warum. Erst ein deutsches Labor fand die Ursache: ein Cocktail verschiedener Pestizide. Darunter auch Reste des in der Schweiz verbotenen Gifts Fipronil. Spuren davon fanden sich in einem Pflanzenschutzmittel, das ein Landwirt auf seine Obstplantagen spritzte. Die Herstellerfirma hatte ihre Anlage nicht korrekt gereinigt. Das Bundesamt für Landwirtschaft startete eine Rückrufaktion. Doch da war vieles schon versprüht – und vom Wind in alle Richtungen getragen worden. Der Hersteller schickte seine Anwälte ins Emmental, die bereinigten den Fall im stillen.

Zwei Jahre später, im Frühling 2016, lagen Heidi Baumgartners Völker erneut tot in den Kästen. Sie beklagte sich nicht über die viele Arbeit, die nun umsonst gewesen war: kontrollieren, reinigen, füttern. Sie beklagte den Verlust ihrer Tiere, die im Schwarm eine ganz besondere Gattung Leben ausmachen – «wir kennen uns», sagt sie.

Wieder war Heidi Baumgartner nicht die einzige. Doch sie drängte besonders darauf, «das nicht einfach hinzunehmen». Die Imker informierten Bieneninspektor, Bienengesundheitsdienst und Veterinäramt. Wie bei einem Mordfall wurden Spuren gesucht und Beweismaterial sichergestellt. Dazu gehörte auch, dass Baumgartner und ihre Kollegen die Flüge ihrer Tiere beschrieben. Natürlich wisse sie, wo ihre Bienen sich tagsüber aufhielten, sagt Baumgartner. Schaut sie aus dem Küchenfenster und sieht Bienen, die von links anfliegen, waren sie auf dem Lavendelfeld. Summen sie ihr von vorn entgegen, kommen sie aus dem Wald. Die Bienen aber, die aus dem Norden von den Obstplantagen kommen, bringen den Tod nach Hause. Dass weiss sie mittlerweile.

Nachdem sie ihre Beobachtungen dem Inspektor zu Protokoll gegeben hatte, nahm sie einen Eimer und wischte die leblosen Tiere, als wären es Brotkrümel, hinein.

Heidi Baumgartner bestand darauf, dass ihre Bienen in einem Labor untersucht würden. Das Ergebnis: Sie starben durch Thiamethoxam. Thiamethoxam gehört zu den vieldiskutierten Neonicotinoiden. Kaum ein Politiker, der nicht vor dem Spiegel das Wort auszusprechen übte, um die Haltung der Industrie (unbedenklich) oder der Umweltschützer (unser aller Untergang) einzunehmen.

Für den Bienenforscher Randolf Menzel von der Freien Universität Berlin ist klar: Neonics, wie sie salopp genannt werden, lassen Bienen elend zugrunde gehen. Wie kaum ein anderer hat Menzel in unzähligen Versuchen das griesskornkleine Gehirn der Bienen ergründet. Nach über fünfzig Jahren Hirnforschung ist er noch immer davon angetan, wie das Bienengehirn Entscheidungen trifft, plant, Regeln erkennt, anwendet und kombiniert. Eine Biene entscheidet während ihrer Arbeit über ihren nächsten Schritt, «ob sie zuerst zum Stock zurückwill oder doch lieber zur nächsten Futterstelle». Und genau da macht das Gift dem Tier einen Strich durch die Planung: Neonicotinoide töten Bienen nicht nur, sondern nehmen zuvor Einfluss auf ihre Gedächtnisbildung. Navigation und Kommunikation geraten durcheinander. Wie bei Alzheimer verliert die Biene die Orientierung und findet nicht mehr zum Futter oder nach Hause zurück.

Dabei begann es so vielversprechend: Als der Bayer-Konzern in den 1990ern die ersten Neonicotinoide auf den Markt brachte, hatten die Bauern endlich ein wirksames Mittel gegen Maiswurzelbohrer, Rapsglanzkäfer, Läuse im Apfelanbau, beim Hopfen, beim Getreide, im Weinbau oder bei den Zuckerrüben. Als revolutionär galt auch, dass die Neonics nicht nur versprüht, sondern vor allem zur Vorbehandlung des Saatgutes beim «Beizen» eingesetzt werden. Der Wirkstoff umhüllt das Saatgut, die Pflanze nimmt ihn auf und verteilt ihn von den Wurzeln bis in die Blätter. Der Vorteil: Es wird gezielter behandelt und nicht «wild» herumgespritzt. Der Nachteil: Das Gift steckt nun auch in der Blüte, in den Pollen, im Nektar. Es werden nicht nur Schädlinge getötet, sondern auch Schmetterlinge, Bienen und andere Bestäuber, die sich an der Pflanze zu schaffen machen.

Neonics waren ein Verkaufsschlager – bis 2008 im deutschen Rheintal 11500 Bienenvölker starben. Auslöser des Bienensterbens war das Aussäen von behandeltem Mais auf den Feldern der Region. Die rote Beize bröselte ab, der giftige Staub wurde aufgewirbelt und verweht. Eine Studie stellte fest, dass Neonicotinoide für Bienen bis zu 10000 Mal giftiger sind als das seit 1972 in den meisten Industrieländern verbotene Insektizid DDT, mit dem man auch in der Schweiz in den 1950er Jahren ganze Landstriche besprüht hatte. 2013 verhängte der Europäische Gerichtshof ein Teilverbot der gefährlichsten drei Neonicotinoide. Die Herstellerfirmen Bayer, BASF und Syngenta klagten dagegen und versuchten mit Studien davon zu überzeugen, dass nicht das Gift, sondern die asiatische Varroamilbe der Honigbiene grösster Feind sei. Die europäische Lebensmittelbehörde EFSA hatte 1500 internationale Studien ausgewertet und bestätigte im Frühjahr 2018 erneut die Schädlichkeit der Präparate. Es sei ein trauriger Tag für Landwirte und ein schlechter Deal für Europa, stellte Bayer in einer Pressemitteilung fest.

2019 werden die drei Neonicotinoide auch in der Schweiz im Freien verboten sein. Innerhalb von Gewächshäusern soll die Verwendung erlaubt bleiben. Andere Neonicotinoide wie Thiacloprid und Acetamiprid sind von den Teilverboten nicht betroffen.

In Mirchel beschlossen Heidi Baumgartner und ihre vier Imkerkollegen, den Landwirt anzuzeigen, der das Gift falsch angewendet hatte. «Bei einem Raser auf der Landstrasse macht man das ja auch», sagt sie. Doch anders als ein Raser, kommt ein Landwirt wegen Bienenvergiftung selten vor Gericht. So selten, dass sogar Greenpeace aufhorchte und in Baumgartner eine Kämpferin witterte. Greenpeace vermittelte ihr einen Anwalt für Umweltstrafrecht. «Anders hätten wir einen Prozess nicht gewinnen können», sagt sie. Ein Jahr später verurteilte das Regionalgericht Bern Mittelland den Bauern wegen fahrlässiger Widerhandlung gegen das Umweltschutzgesetz zu einer Geldstrafe von 18800 Franken. Für jedes tote Volk und die zerstörte Königinnenzucht erhielt Baumgartner 290 Franken. Etwa 1,4 Rappen pro Biene.

Die Biene hat es seit den 1950er Jahren schwer. Mit wachsendem Wohlstand für den Menschen begann der Niedergang aller Arten von Insekten. Die meisten werden schon ausgestorben sein, bevor sie überhaupt erforscht werden konnten, beklagen Experten. Grund dafür sind Flurbereinigungen, Monokulturen, Agrargifte. Grüne Wüste. Stummer Frühling. Es gibt etliche Schlagworte, die den Teufelskreis beschreiben: Sterben Insekten, sterben auch die, die sie als Nahrung benötigen, etwa Vögel. Innert 20 Jahren ist die Zahl der Vögel in Europa um 300 Millionen gesunken. Auch weil der ländliche Raum keinen Platz für Jungtiere lässt. Es wird gemäht und gehäckselt, gedüngt und gespritzt. Im Vergleich mit intensiv bewirtschafteten Flächen bieten heute sogar viele Randstreifen der Autobahn mehr Natur und Artenvielfalt.

Dass es auf den hiesigen Wiesen weniger brummt und summt, belegte eine Studie des Entomologischen Vereins Krefeld, für die die Forscher jahrzehntelang Daten sammelten. Ihr Ergebnis: Seit 1989 nahm in Teilen Deutschlands die Gesamtmasse der Fluginsekten um mehr als 75 Prozent ab. Medien prophezeiten darauf ein ökologisches Armageddon. Bedroht ist in erster Linie nicht die Honigbiene, auch wenn sie als Aushängeschild die Titelseiten von Zeitschriften ziert; sie ist schlicht attraktiver als ein Nachtfalter. Eine fleissige Biene Maja mit leerem Honigtopf soll für ein Umdenken im Umgang mit der Natur sorgen. Doch so einfach wie im Märchen ist es nicht.

Jean-Daniel Charrière ist Leiter des Schweizer Zentrums für Bienenforschung Agroscope, das dem Bundesamt für Landwirtschaft untersteht. Er und seine Handvoll Kollegen sind seit Monaten gefragte Experten. Er würde lieber über die Varroamilbe sprechen als über Pestizide, sagt Charrière. Varroa destructor trat in der Schweiz erstmals 1984 auf und tötet befallene Völker in ein bis drei Jahren. Charrière hat viel über den asiatischen Schädling geforscht; und ja, er sieht ihn als das derzeit grösste Problem. Wobei er andere keinesfalls kleinreden möchte: Dass Pestizide bei falscher Anwendung nicht nur für Honigbienen, sondern für alle Insekten schädlich sein können, sei ja nicht erst seit gestern bekannt. Charrière hatte den Imkern schon vor zwanzig Jahren in einem Expertenbericht geraten, ihren Bienenstand in genügender Distanz von intensiv bewirtschafteten Zonen aufzustellen. 

«Wäre ich eine Biene», sagt Charrière, «hätte ich mich in den 1930ern am wohlsten gefühlt.» Das Gras blieb länger stehen, die Varroamilbe war noch nicht in Europa, Gifte wurden kaum gespritzt, und Bauern waren meist auch Imker – also darum bemüht, dass ihren Tieren nichts passierte. Charrière wählt seine Worte mit Bedacht, als wollte er es sich mit niemandem verscherzen, der zu diesem Thema eine Meinung hat. Und das sind nicht wenige: Imker, Bauern, Politiker, Wissenschafter, Industrievertreter. Es ist ein Hüpfen zwischen Tretminen. Im Wissenschaftsrat von Agroscope ist auch der Pharmariese Syngenta vertreten. Die Angestellten in diesem kasernenartigen Komplex in Bern Liebefeld wechseln nicht selten geschmeidig zwischen Industrie und Bundesamt. Der Agrarbiologe Lukas Jeker war selbst in der Industrie, unter anderem als Studienleiter bei Syngenta, bevor er zu Agroscope wechselte. Ein Vorteil, sagt er, um die Forschungsberichte besser verstehen und einschätzen zu können. Sein Büro, das er mit einem Kollegen teilt, hat den Charme einer Zelle. Für Stimmung sorgen einzig bunte Gutachten und Empfehlungen, die sich auf dem Pult und in den Regalen stapeln. Jeker entscheidet über die Zulassung von Produkten der Chemiekonzerne. Pro Jahr überprüft er 120 Produkte auf ihre Bienenfreundlichkeit, bei einigen dauert das Wochen, bei anderen genügt ein einziger Check.

Es gebe da draussen schon heftige Gifte – gewisse seien aber notwendig, man müsse sie einfach sinnvoll und richtig einsetzen, «damit sie vertretbar sind», sagt Jeker. Seine Aufgabe ist es, die einzelnen Produkte zu prüfen, nicht aber ihre Wechselwirkungen. Dabei hinterlassen etliche Agrargifte Abbau- und Zwischenprodukte, und einige davon werden noch giftiger, sobald sie sich zersetzen. Wissen, das bei der Bevölkerung vermehrt zu Widerstand führt.

Ende Mai wurde von einem Dutzend Bürger aus der Westschweiz eine Volksinitiative eingereicht, die synthetische Pestizide verbieten will. In der Schweiz soll es keine gespritzten Äpfel, Kartoffeln oder Rüben mehr geben. Auch dürfte Gespritztes aus dem Ausland die Landesgrenze nicht mehr überqueren. Beim Schweizer Bauernverband lehnt man die Initiative ab. Die Detaillisten bestünden auf makellos anmutenden Produkten, und so wolle es auch der Konsument. Darum spritzt der Apfelbauer rund zwanzig Mal jährlich seine Plantagen flächendeckend. Wer das nicht mache, bleibe auf seiner Ware sitzen. Die drei Neonics, die nächstes Jahr vom Markt verschwinden, werde man vermissen, heisst es beim Bauernverband. Bei der Beizung des Saatguts der Zuckerrübe fehle eine Alternative, weshalb man wieder auf Insektizide zurückgreife, «die weiträumig versprüht werden und 170 Mal toxischer für die Umwelt sind». Es gibt eben nicht nur gute und schlechte Lösungen, sondern auch schlechte und noch schlechtere.

«Vor Gericht gelobte der Bauer Besserung», sagt Heidi Baumgartner. Nach der Verhandlung suchte sie darum das Gespräch mit ihm, doch ihre Vorstellungen davon, wie Lebensmittel produziert werden sollen, blieben unvereinbar. Baumgartner verlegte ihre Stöcke in die Nähe von Biohöfen, zwei karrte sie in einen Privatgarten in der Stadt Bern. Sechs Kästen blieben aus Nostalgie in ihrem Garten, «um das Summen zu hören».

Für die Bienen wäre Bioanbau der Idealfall. Doch viel Bio gibt es nicht. Der Anteil biologischer Landwirtschaft beträgt in der Schweiz um die 15 Prozent. Der Veränderungswille der Landwirtschaft sei beschränkt, sagt Urs Niggli vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau. Der Grossteil der Bauern arbeitet konventionell und braucht Pestizide. Bei einem Flug übers Land kommt eine Biene mit 30 verschiedenen Pflanzenschutzmitteln in Kontakt. Mindestens. Dabei könnten Bauern auf fast 50 Prozent der Giftbehandlungen verzichten. Oft würde nur gespritzt, um selbst das kleinste Risiko eines Befalls zu vermeiden. Ein Umdenken in der Landwirtschaftsfrage hält Niggli für unausweichlich und möglich, wenn die Industrie die Forschung an biologischen Pflanzenschutzmitteln als interessant genug betrachtet. Das Ziel müssen klügere Anbaumethoden sein, will man ein weiteres Massenaussterben verhindern. «Wir haben schon 70 Jahre verschlafen», sagt er.

In der Schweiz werden jährlich um die 2100 Tonnen Pestizide verkauft und eingesetzt. Das Bundesamt für Landwirtschaft führt eine Liste, welche Gifte in der Landwirtschaft zugelassen sind. Sie umfasst über 1000 Produkte. Jedes Jahr kommen neue dazu, und bedenkliche werden zurückgezogen, nachdem sie jahrelang im Einsatz gewesen sind. Für Félix Olivier, Leiter Fachbereich Nachhaltiger Pflanzenschutz beim Bundesamt für Landwirtschaft, ist das ein Beweis dafür, «dass das System funktioniert». Er wird am Telefon kurz laut, wenn er mit Nachdruck versichert, dass nie, nie, nie Rückstände gefunden wurden, die die zugelassenen Grenzwerte übersteigen. Was ihn an der ganzen Diskussion am meisten störe, sei die Tatsache, dass es nur um «seine» Pestizide gehe – sprich die böse Landwirtschaft. Dabei würden in der Stadt unzählige Gifte eingesetzt: beispielsweise Biozide zur Desinfektion und zum Bemalen der Fassaden. «Das aber kümmert niemanden.» Als hätten sich die Städter vorgenommen: Auf dem Land muss die Welt gefälligst in Ordnung sein.

Im Sommer 2017 fühlte sich Heidi Baumgartner wie König Midas. Sie erntete den schönsten Waldhonig. «Ich ertrank im Gold», sagt sie. Für jedes Kilo flogen ihre Bienen 100000 Kilometer. Einige waren schon «ganz kahl von all der Arbeit».

Ihr Honiglager befindet sich im Untergeschoss ihres Hauses gleich neben Tumbler und Waschmaschine. Der Waldhonig ist besonders gut. Er ist klar wie Bernstein, würzig im Geschmack, mit einem Hauch von Himbeere. Die Etiketten auf den Gläsern sind Scherenschnitte ihres Mannes: Bienen umschwirren darauf eine Ranke aus zarten Blüten, phantastisch und doch düster, als erahnten Baumgartners den nächsten Trauerfall.

Im Spätsommer 2017 lagen die Bienen tot vor ihren Fluglöchern. Heidi Baumgartner informierte den Bieneninspektor und bestand erneut auf einer Abklärung. Kurz darauf teilte ihr der Bienengesundheitsdienst in einem Schreiben mit: «Nachgewiesen wurde der Wirkstoff Dimethyl-Phenyl-Sulfamid. Hierbei handelt es sich um ein Abbauprodukt des Fungizides Dichlofluanid. Gemäss Angaben des Bundesamts für Landwirtschaft ist dieses Produkt seit 2008 nicht mehr zur Anwendung zugelassen.» Man verblieb mit freundlichen Grüssen.

Die Sonne brannte auf das Dörfchen Mirchel nieder. Die Kräuter blühten, und Schmetterlinge tanzten durch den Garten. Die Kinder drängelten in die Veloferien, die seit Wochen geplant waren. Heidi Baumgartner meldete den Fall beim Bienengesundheitsdienst, «damit die Statistik wenigstens ein bisschen zuverlässiger ist», sagt sie. Auf eine Anzeige verzichtete sie, «ausnahmsweise». Dann startete das Grüppchen die Velotour durch die süddeutschen Weinberge der Mosel entlang. Rad an Rad an Rad. «Es war schön», sagt sie. Nur die Warntafeln an den Velowegen hätten ihre Stimmung getrübt: Helikopter versprühen Pestizide, stand dort geschrieben: bitte in Sicherheit bringen.


Von Gudrun Sachse, erschienen im NZZ Folio "Bienen", 2018.