Blumen, Nachrichten mit Dank und Lob für seine Bilder – Beyoncé und Lady Gaga lieben Markus Klinkos Arbeit. Seine Mama in Winterthur aber fragte ihn beim Anblick der entrückt inszenierten Beyoncé: «Das soll schön sein?» Der 55jährige Fotograf erzählt es ohne Lachen. Er habe ihr dann zu erklären versucht, wie er diesen Göttinnenausdruck hinbekomme. Doch die Mutter unterbrach ihn kühl: «Wer soll das sein?» – «Eine Sängerin, ein Weltstar.» – «Blödsinn, Maria Callas war ein Star.» Nein, die Mutter hat kein Verständnis für die Arbeit ihres Sohns, der sie kaum noch besucht, seit er in New York und Los Angeles lebt und arbeitet.
Markus Klinko ist gross. Seine Augen sitzen tief im Schädel, er ist hager von Stress, Jetlag und zu gesundem Essen. Er gönnt sich weder Salzstangen noch Prosecco – selbst an seiner eigenen Vernissage in Basel. Klinko war der Hausfotograf von David Bowie. Nach dessen Tod Anfang Jahr beschloss er, die besten Bilder des Musikers auf Welttournee zu schicken, Bilder, die ungesehen in seinem Archiv lagerten. Los Angeles, Paris, Tokyo. Die Schweiz ist nur eine Station, ein kurzes Heimspiel.
Bis neun müsse er zu Hause in Winterthur sein, hat seine Mutter angeordnet, und darum braucht er jetzt schnell ein Taxi zum Bahnhof. «Wir sprechen im Zug weiter, okay?» Klinko spricht gern, ist höflich und unaufgeregt. Die Anspannung weicht endgültig, als er in der ersten Klasse Platz nimmt. Klinko bewundert die Grossräumigkeit des Wagens, ist aber empört über den Fahrpreis: «148 Franken, unfassbar! Zehn Minuten mit dem Taxi vom Flughafen nach Winterthur kosteten mich über hundert Franken! Und ein Tee, ein lächerlicher Tee, sechs Franken! Wie könnt ihr euch das Leben hier in der Schweiz überhaupt leisten?»
Markus Klinko, Sie fotografieren die Reichsten der Welt – für entsprechende Honorare. Machen Sie sich um Geld Sorgen?
Nein, aber was ich verdiene, investiere ich in meine Arbeit, nicht in Häuser oder Autos. Ich bin ein Freelancer, ein Umherziehender. Ich will fotografieren, was mir Spass macht. Also kann es auch mal sein, dass die Arbeit nur kostet und kein Geld bringt. Und dann gibt es Jobs, bei denen der Kunde für zwei Tage Shooting 500 000 Dollar bezahlt.
Beneiden Sie Ihre Kunden um ihre Millionen?
Ich weiss, dass eine meiner Kundinnen zwei Hunde hat, von denen jeder eine Million Dollar kostet. Nach fünfzehn Stunden Shooting bin ich todmüde, schaue mir aber noch alle Bilder an und bin aufgeregt. Ich denke dann: Das Licht ist toll. Und nicht: Wahnsinn, die hat einen hässlichen Hund für eine Million Dollar. Das ist ihre Sache. Wenn die Hunde sie glücklich machen – why not. Ich bin nicht da zu urteilen, ich versuche, sie noch schöner und glamouröser zu machen. Ausserdem weiss ich auch, dass sie viel Geld in Charity steckt.
Wohltätigkeit gehört in Ihren Kreisen zum guten Ton. Sie legten auch schon Kim Kardashian, Alicia Keys und andere Prominente für einen guten Zweck in Särge. Gleichzeitig stellt Kim Kardashian hauptberuflich ihren Luxus zur Schau. Passt das zusammen?
Auf die «Keep a child alive»-Kampagne bin ich stolz. In drei Tagen sammelten wir über eine Million Dollar für die Aids-Hilfe. Kim arbeitet viel für ihr Geld. Das soll jetzt nicht mitleidig klingen, die Kardashians führen ein sehr gutes Leben, und ja, andere Menschen arbeiten auch hart, aber irgendwie stellt sie es richtig an.
Wie hat das VIP-Umfeld Sie verändert?
Am Anfang nahm ich mich unfassbar wichtig. Ich war arrogant und bildete mir viel drauf ein, so berühmte Leute zu kennen. Im Laufe der Zeit habe ich aber gemerkt, dass das ein reines Business ist, dass ich dafür arbeiten muss und dass es auch Zufall ist, ob ich den nächsten Auftrag bekomme – die Konkurrenz ist besonders unter Fashionfotografen enorm. Jeder kann sich eine Kamera kaufen und loslegen.
Sie wurden also immer netter?
Genau. Ausserdem mache ich mir nichts mehr aus Mode. Ich trage meist diese Lederhose und eine Jacke, das ist mein Stil. Ich gehe täglich ins Gym, esse gesund, trinke Tee und Wasser. Im Vergleich zu früher, als ich noch Musiker war und mit der grossen schweren Harfe durch die Welt reiste, ist mein Leben heute deutlich entspannter.
Markus Klinko kennt die Welt der VIP aus der eigenen VIP-Perspektive. Bevor er Fotograf wurde, war er Harfenist. Das Plattenlabel EMI Classics hatte ihn unter Vertrag, weltweit trat er mit den grössten Orchestern auf, spielte meisterlich die Stücke von Claude Debussy und Maurice Ravel. Begonnen hatte er mit klassischer Gitarre, als Teenager hörte er Deep Purple, «eigentlich nur Deep Purple». Er hatte eine eigene Rockband, als sein Vater, ein Musiker im Winterthurer Stadtorchester, zu ihm sagte: Junge, lern doch ein Instrument, das in ein Orchester passt. Der Vater schlug die Harfe vor. Eine grosse Gitarre, dachte sich der Sohn und war einverstanden. Markus Klinko zeigte Talent, er studierte am Konservatorium in Paris, übte täglich mindestens zehn Stunden. Er wurde an den Flughäfen mit der Limousine abgeholt und in Luxushotels einquartiert. Abends dann die Konzerte.
Eines Morgens, Markus Klinko war damals 35 Jahre alt, streikte sein rechter Daumen. Einmal schlafen, und danach werde alles wieder wie früher sein, sagt er sich. Doch Tage später ging es dem Daumen noch schlechter. Er suchte Spezialisten auf. Niemand konnte ihm helfen, eine Diagnose blieb aus.
Klinko entschied sich gegen ein Leben in Wehmut, er verkaufte sein sperriges Instrument und erstand für 100 000 Dollar eine Fotoausrüstung. In Paris mietete er sich ein Studio, besorgte sich eine Schaufensterpuppe, die er mit Licht von hinten, Licht von vorn, Licht von oben in Szene setzte. Getrieben vom Ehrgeiz, brachte er sich das neue Handwerk selbst bei. Ein Jahr lang lebte er von seinem Ersparten als Musiker. «Danach hatte ich Fuss gefasst, und es ging los mit den guten Aufträgen.»
Heute sind Markus Klinkos Bilder Ikonen. Er stellt die Schönsten noch schöner dar, als sie sind. So, wie das gemeine Volk seine Götter sehen will. So, wie die Götter sich selbst sehen wollen. Unnahbar. Anbetungswürdig. Auch Diven sind unter seinen Kundinnen. Darunter die berüchtigtsten, die das Showgeschäft hergibt. Zum Beispiel die US-Sängerin Beyoncé. Sie zählt seit Jahren zu den einflussreichsten Weltstars.
Hinter der Bühne bestehe Beyoncé auf weissen Möbeln, schreibt die Klatschpresse. Sie trinke aus Titanium-Strohhalmen, die Crew dürfe sich ihr nur in Kleidung aus reiner Baumwolle nähern. Wie ist die Beyoncé, die Sie kennen?
Als sie das erste Mal für ein Shooting kam, hatte ihre Mutter dieses Diamantgehänge als Oberteil dabei, aber für untenrum nur so nichtssagende, biedere Röcke. Ich gab ihr meine Jeans. Sie war total unkompliziert und ganz natürlich. Meine Hose trägt sie nun auf dem Cover zu ihrem ersten Soloalbum. Ich hatte für mich natürlich noch eine andere Hose im Studio. Als ich sie ein Jahr später wieder für ein Shooting traf, gab sie mir die Jeans gewaschen und zusammengelegt in einem Karton zurück. Die kannst du jetzt auf Ebay verkaufen, sagte sie im Scherz. So etwas würde ich natürlich nie tun.
Sie fotografierten auch Lady Gaga. Eine Exzentrikerin, die sich offenbar nur in Räumen aufhält, die mit Silberfolien verkleidet sind. Backstage stehe ein Sauerstoffzelt bereit, und die Handtücher müssen nach Lavendel duften. Wie ist sie?
Sehr zugänglich, sehr kreativ. Zumindest beim Shooting. Wie sie privat ist, weiss ich nicht. Aber das genügt mir, ich will sie nicht als Freundin. Ich frage nicht mal nach einem Autogramm. O Gott, wäre das peinlich.
Als Diva gilt auch die Sängerin Mariah Carey. Über sie heisst es, dass sie am liebsten in französischem Mineralwasser bade. Bevor sie aus ihrer Limousine tritt, verlangt sie, dass ein roter Teppich ausgerollt werde. Wie war das Shooting mit ihr?
Sie ist eine ganz normale Frau. Das hat mich, nach all dem, was ich über sie gehört hatte, selbst erstaunt. Okay, sie kam viel zu spät zum Shooting. Aber sie war sehr nett und lieb. Ehrlich gesagt: Von mir aus kann ein Star so viele Allüren haben, wie er will. Wenn er für sein Wohlbefinden am Set 500 000 Dollar ausgeben möchte, organisieren wir alles Notwendige.
Haben Sie auch Francine Jordi fotografiert?
Sorry, kenne ich nicht.
Oder eine andere VIP aus der Schweiz?
Ich kenne keine Schweizer VIP. Ich wurde in der Schweiz auch noch nie für ein Shooting gebucht.
Die VIP, die wir hier in der Schweiz haben, nennen wir Cervelat-Promis. Kennen Sie den Ausdruck noch?
Ah, okay, eine Wurst.
Klinko wendet sich seiner Kollegin Koala zu, die ihm im knallroten Mantel gegenübersitzt. «Something like Fondue», sagt er. Koala nickt. Die junge Amerikanerin mit chinesischen Wurzeln arbeitet seit 2013 mit Klinko zusammen. Sie habe seine Sicht auf den Menschen verändert, freier gemacht, sagt er. Kürzlich fotografierten sie für die italienische «S Moda» die Schauspielerin Christina Ricci. Sie arbeiteten nach ihrer neuen Methode: gleichzeitig, aber aus unterschiedlichen Perspektiven. Das bessere Bild wird ausgewählt. «Christina Ricci? Sie war unkompliziert, ihr einziger Luxus war, dass sie nach dem Shooting mit einer Limousine abgeholt wurde», erinnert sich Koala.
Über die Latina Jennifer Lopez sagt die Presse, dass sie weisse Möbel, weisse Lilien und in ihren Räumen eine Temperatur von exakt 25,5 Grad fordere. In der Garderobe bestehe sie zudem auf hundert Duftkerzen. Mitarbeiter sollen sie nicht anschauen dürfen, es herrsche striktes Blickkontaktverbot. War sie beim Fototermin auch wunderbar?
Sie kam frühmorgens in Sandalen, ungeschminkt, die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Eine solch natürliche Schönheit habe ich noch nie gesehen. Die meisten Celebrities sind wirklich normal. Die Öffentlichkeit macht aus ihnen Götter, aber es sind nur Menschen. Menschen mit etwas mehr Geld und etwas mehr Macht.
Ihre Bilder stellen die Menschen nicht nur schöner, sondern auch mächtiger dar. Sie überhöhen sie, was auch falsch verstanden werden kann. Würden Sie auch jemanden wie Donald Trump fotografieren?
So weit wird es zum Glück nie kommen – ganz ehrlich, ich weiss es nicht, eher nicht. Er ist so unberechenbar, clever, boshaft. Beim Shooting braucht es ein Minimum an Verbindung zum Gegenüber. Politiker zu fotografieren ist mir auch zu langweilig. Das ist wenig kreativ, es endet dann oft in irgendeinem Portrait. Ich liebe Styling, Make-up, neue Trends, grosse Szenen. In ein paar Monaten kann ein Politiker wieder in der Versenkung verschwunden sein. Die Menschen, die ich fotografiere, sind das nicht.
Manchmal muss der, der fotografiert wird, bei Klinko nicht einmal anwesend sein. Für eine Fotostrecke im Magazin «GQ» rief er David Bowie an und fragte ihn, wie sie das machen wollten mit dem Shooting. «Mach etwas ohne mich – eine Montage», sagte Bowie. Also suchte Klinko ein männliches Model, das in der Statur Bowie glich. Das Model wurde in einen Ledermantel gesteckt, und in die Hand bekam es einen Strick gedrückt, an dem Wölfe zogen. Bowies Kopf fügte Klinko später ein.
Klinko hatte David Bowie 2001 kennengelernt, als er dessen Frau, das Model Iman, fotografierte. Den Kontakt zu ihr hatte Klinkos damalige Freundin, das indische Model Indira, hergestellt. Bowie kam nach dem Shooting ins Studio und sagte: «Hi, I’m David.» Einige Tage später rief er an und fragte, ob Klinko das Cover zu seiner neuen Platte fotografieren wolle. «Von neun bis sechs Uhr», habe Bowie gesagt. «So war er. Genau. Zuverlässig.» Weniger glatt verlief das Shooting mit dem Rolling-Stones-Gitarristen Ronnie Wood. Es war ein nebliger Abend in London, die Zufahrt zu seinem Anwesen führte durch einen Wald. Klinko stand mit einer Crew aus Stylisten vor Woods Tür und klingelte. Totenstille. Er klingelte wieder. Zehn Minuten später öffnete ein verschlafener Ron im Pyjama die Tür: «Was wollt ihr denn hier?» Wood hatte das Shooting vergessen. Er lud die Crew mit den Worten «Let’s have a Guinness» in sein hauseigenes Tonstudio und bestand darauf, dass auch Klinko ein Guinness trinke, sein erstes und letztes. «Nachdem Wood sich ausgejammert hatte, entspannte er sich. Die Bilder wurden gut», sagt Klinko. Nur das sei ihm wichtig, alles andere, das ganze Drumherum, habe ihn nie interessiert. Er trifft die Promis immer wieder und wird oft von ihnen eingeladen. Manchmal gehe er sogar hin, etwa zu einem Geburtstag. «Aber eingeladen zu werden ist sicher nicht mein Ziel.» Und wenn er schon an Award-Shows müsse, «dann bitte an solche, an denen ich selbst was bekomme».
Sind diese Anlässe so schlimm?
Ja, es gibt Events, die dauern sechs Stunden! Im Fernsehen sieht man aber nur einen Bruchteil davon, das stundenlange Herumsitzen zeigt keiner.
Sind Sie selber ein VIP?
Bin ich das? Manchmal ja, manchmal nein. Je nachdem, ob mich einer erkennt. Ich hatte 2008 beim US-Sender Bravo Network meine eigene Show, eine Reality-Doku, «Double Exposure». Sie lief zwar nur einige Wochen, aber in über hundert Ländern. Damals wurde ich auf der Strasse ständig angesprochen und hatte keine Ahnung, was ich antworten sollte. Es war schrecklich. Wer hinter der Kamera steht, sollte dort bleiben und sich nicht in den Vordergrund drängen. Das habe ich damals gelernt. Immerhin. Es war eine gute Lektion in Sachen Lebensschulung.
Warum haben Sie denn mitgemacht?
Weil ich annahm, sie würden zeigen, wie kreativ Fotografen arbeiteten, stattdessen wurden die Szenen so zusammengeschnitten, dass ich als Egomane dastand.
Bekommen Sie auch Goody-Bags?
Natürlich. Firmen und Sponsoren geben uns Sachen, die wir weitergeben können. Das ist ein Geschäft. Wir sind eben nah dran an den Stars.
Je mehr einer hat, desto mehr bekommt er . . .
Das ist ein allgemeingültiges Prinzip. Natürlich ärgert es mich manchmal, dass jemand, der einen Hund besitzt, der Millionen gekostet hat, vieles umsonst bekommt. Aber die Geschenke gibt es ja nicht, weil die Firmen den Prominenten so wahnsinnig gern haben, sondern weil der ihr Produkt bekannter machen soll – ein reines Tauschgeschäft. Ein Prominenter braucht ein gutes Selbstwertgefühl, schliesslich wird er oft nur als Mittel zum Zweck benutzt. Wer nicht weiss, wie er damit umgehen soll, hat es schwer. Aber die meisten können zwischen echten und falschen Freunden unterscheiden. Und ganz Kluge setzen ihren Ruhm dann auch für eine gute Sache ein.
Haben Sie auch schon Angelina Jolie fotografiert?
Nein, leider nicht. Aber die hätte ich gerne. Zusammen mit Brad Pitt. Ein tolles Paar.
Sind die überhaupt noch zusammen? Gab es im Hause Jolie-Pitt nicht wegen zu viel Nähe des Ehemanns zur Nanny Schwierigkeiten?
So wie bei Jude Law und Arnold Schwarzenegger? Ich habe nie verstanden, wie Jude Law so blöd sein konnte, Sienna Miller zu betrügen. Warum nehmen sich die Stars aber auch so attraktive Babysitter? Nun, keine Ahnung, was bei Angelina und Brad los ist, aber vielleicht sollte der Mann wirklich besser gehen, wenn er den Babysitter toller findet als die Mutter seiner Kinder. Aber so etwas kommt ja nicht nur in VIP-Familien vor, sondern bei allen andern auch. Nur interessiert es dann eben niemanden.
Von Gudrun Sachse, erschienen im NZZ Folio "VIP", 2016.