Der gute Mensch aus Shenzhen (NZZ Folio)

Herr Gao, sagen die, die ihn getroffen haben, sei ein unscheinbarer Mann. Schlank und feingliedrig. Bübisch für einen über 50jährigen. Sicher kein Protzer. Linienflug statt Privatjet. Selbst am Steuer statt Chauffeur. Eine Frau, zwei Kinder, keine Bodyguards, aber klare Vorstellungen und Ziele. Gao würde kaum einem Engelberger auffallen, füllte er im Coop sein Körbchen. Sie kennen ihn von drei, vier Veranstaltungen, bei denen er auf chinesisch sein Wohlwollen kundtat, in diesem Tal 100 Millionen Franken in ein Fünfsternehotel zu investieren, der Schönheit wegen und nicht aus Gier. Ortskundige Freunde hatten dem Selfmade-Milliardär aus China geraten, sich in den Bergen bodenständig zu geben – und so zapfte er Bier und rührte in Fonduetöpfen. Auf 1013 Höhenmetern, umgeben von sonnenumspielten Gipfeln, will man keinen kaltherzigen Investor, sondern einen guten Menschen aus Shenzhen.

Sicher lag es auch an seiner feinen Art, dass das Geschäft zustande kam. Vor allem aber daran, dass Asiaten seit Jahrzehnten in der Region eine Art Synonym für Wertschöpfung sind. In Engelberg beschränkte sich dies bisher auf den Titlis und die Bahnen rundherum. Wenn in anderen Skigebieten die Kabinen längst ruhen, Räder und Getriebe nach den winterlichen Strapazen geölt und geschmiert werden, fiebern in der Titlis-Talstation täglich um die 5000 Touristen ihrer Fahrt in die Höhe entgegen. In den Monaten Mai und Juni hauen die Bergbahnen, in pandemiefreien Zeiten, finanziell noch mal alles raus. Bis zu 80 Cars, in denen vorwiegend Inder und Chinesen sitzen, glänzen dann in der Sonne wie in Öl gelegte Sardinen.

Die Schweiz gehört zu den «aspirational destinations», den Ländern, die bei Asiaten ganz oben auf der Wunschliste stehen, um von hier Bilder zu posten: ­«Signalling» nennt es sich, wenn sie in den sozialen Netzwerken an der Geschichte ihres Lebens spinnen, um daheim zu punkten. Wer die Schweiz besucht und nicht auf der Rigi oder dem Titlis ein Selfie ins Netz gestellt hat, kommt in Erklärungsnot.

Damit das so ist, haben Touristiker wie André Küttel jahrelang Klinken geputzt. Küttel gehörte von 2000 bis 2011 zusammen mit dem illustren Luzerner Kurdirektor Kurt H. Illi zu den Tätschmeistern, die Asiaten kunstvoll umschwirrten. Illi bot erst Luzern feil, bevor er die in Gruppen Reisenden auf die benachbarten Berge trieb – unter anderem zu Küttel, der die Titlis-Bahnen mit dem 3238 Meter hohen Titlis vermarktete. «Unvergessen» bleibt Küttel der Juni 2004, als der chinesische Vizepremierminister seine Unterschrift unter eine Vereinbarung setzte, dank der die Schweiz den «Approved Destination Status» erhielt.

Seither benötigen Chinesen keine Ausreisegenehmigung mehr, wenn sie die Schweiz besuchen wollen. Chinas Regierung hatte die Schweiz zuvor gründlich untersucht, damit ihre Landsleute hier auch ja sicher seien. Küttels Geschäfte mit China verliefen stets «problemlos», sagt er. Seine Kontakte nützen ihm auch heute als Teil der Geschäftsleitung des Verkehrshauses in Luzern.

Seidenstrasse im Schweizer Verkehrshaus

Küttel ist wie alle, die man aus der Branche trifft, sportlich und schlank. Vom Typ her «pragmatisch und schnell darin, Entscheidungen zu treffen», etwas, das er wohl von den Asiaten gelernt habe, sagt er. Schnell entschied er, dass die Cars voller Chinesen künftig nicht nur am Luzerner Schwanenplatz ihre Ladung löschen, sondern auch vor dem Verkehrshaus. Gemeinsam mit der chinesischen Botschaft habe er für das Museum bereits ein mögliches Ausstellungsprojekt angedacht: die ­Erneuerungsgeschichte der Seidenstrasse. Für die Belt-and-Road-Initiative begann China 2013 neue Handels- und Verkehrsnetze zwischen Asien, Europa und Afrika aufzubauen. Mittlerweile umfasst das Projekt den gesamten Globus und zielt gemäss Experten auch auf das Weltall und den Cyberspace.

Die Schweiz unterzeichnete als eines der ersten westlichen Länder ein «Memorandum of Understanding» mit China. Die zwei verstehen sich. Bundesrat Ueli Maurer lauschte an der Seite des chinesischen Präsidenten Xi Jinping den Nationalhymnen, bevor sie an jubelnden Kinderreihen vorbeischritten. Maurer betonte in seiner Rede die Gemeinsamkeiten beider Völker wie Fleiss und Innovationskraft.

Dass in erster Linie chinesische Unternehmen von dem chinesischen Vorhaben profitieren, scheint nicht zu irritieren. Auch der Vorwurf, Peking wolle mit seinen Infrastrukturprojekten die beteiligten Länder politisch gefügig machen, verpuffte. Wohl nicht grundlos: 2019 exportierte die Schweiz für 21,4 Milliarden Franken Waren nach China. Im selben Jahr importierte man aus China Waren für 15,1 Milliarden Franken. Chinesische Anleger investierten hierzulande im vergangenen Jahr 571 Millionen Dollar. Im Ranking der chinesischen Investitionsziele steht die Schweiz auf Platz 5.

Auch beim Verkehrshaus zeigt eine chinesische Investorin «Interesse an unseren Ideen», sagt Küttel. An Ideen und Inhalten also, die dann in China weiterentwickelt werden sollen. «Es geht um einen Beitrag, unsere Welt weiterzuentwickeln», ist Küttel überzeugt, die Nationalität des Geschäftspartners spielt dabei keine Rolle. Noch stehe man bei den Verhandlungen am Anfang – «es kommt darauf an, wie gut wir uns ver­kaufen.»

Rund 40 Kilometer entfernt hängt Andres Lietha ähnlichen Gedanken nach. Lietha hat zu Ostern seinen Job als Direktor von Engelberg-Titlis Tourismus angetreten. Als er begann, begann auch der Lockdown. Einen «Ansturm» der Asiaten habe er daher noch nie erlebt. Ein Tourismusdirektor ohne Touristen ist wie eine kalte Ovi, dazu seit Tagen Regen, doch Lietha ist gechillt. Die Yogamatte steht in der Ecke seines Büros. Er spricht, als hangle er sich mit jedem Satz einer Felswand entlang, gemächlich, aber stetig. Wem Asiaten nicht passten, «der muss in ein anderes Tal», sagt Lietha. Und er hat ja recht: All die Bahnen, die Pisten, die Restaurants, all das wäre in dieser Qualität nie möglich ohne ihr Geld. Bald werden sie ja wieder da sein und – auch dank Herrn Gao – etwas länger bleiben und bestenfalls das Dorf durchwandern.

Ein Knackpunkt ist die Dorfstrasse, die verschlafen im Gestern hängengeblieben scheint. Hier gibt es, was man wirklich braucht: Schlafanzüge von Schiesser, Ruchbrot und Schutzengeli für 29.90 Franken, aber kein Swarovski-Gefunkel und keine Chanel-Fummel. Neue Pflanzenkübel, hofft Lietha, mögen für etwas Schwung sorgen. Zur Probe liess er neben die alten aus Holz neue in Rost-Optik aufstellen.

Die Dorfstrasse endet beim weiss getünchten Kloster mit Kirche, Friedhof und Stiftsschule. Jahrelang bildete der Komplex den Kopf des Dorfes, von dem aus sich die Häuser einer Wirbelsäule gleich zum Bahnhof schlängeln. Nun hat es Konkurrenz bekommen. Beinah ebenso mächtig und strahlend weiss, stiehlt Gaos Luxushotel «Palace Engelberg Titlis» den Benediktinern die Show.

Um den Hotel-Monolithen fressen sich kleine Bagger durch Kies und Sand. Parkplätze und Beete werden angelegt. Die letzten Gerüste fallen scheppernd zu Boden. Vor hundert Jahren stand hier eine Anlage, die den Namen «Klein-Versailles» trug. Die Hoteliers waren die heimlichen Herrscher der Region. Ihnen ist viel zu verdanken: Wasser, Elektrizität, Bergbahnen. Mit Milch-, Wasser- und Kräuterkuren verwöhnte man ab 1900 die Reichen. Sie tranken Tee, spielten Tennis und kurvten über die Eisflächen, die zu jedem Grand Hotel gehörten. Aus Luzern importierte Schwäne zierten die künstlich angelegten Teiche und entzückten die Herrschaften. Engelberg war exklusiv – wer sich den Ort nicht leisten konnte, wich ins günstigere St.Moritz aus.

«Herrlich muss es gewesen sein», sagt Thomas Dittrich «darum haben wir uns auch solche Mühe gegeben». Dittrich ist der CEO von Gaos Han’s Europe AG, die als Bauherrin beim Projekt auftritt. Die Füsse sockenfrei in weissen Converse-Turnschuhen, dunkles Hemd und dunkler Blazer, Glatze. Dittrich ist top vernetzt und mit fast jedem im Ort per du. Im Vorstand des Tourismusvereins, Präsident des Hoteliervereins, im Verwaltungsrat bei Engelberg Titlis Tourismus. Schlank und sportlich ist auch er. Das Hotel steht kurz vor der Abnahme. Darum darf jetzt da «sicher keiner rein».

Thomas Dittrich lernte Yunfeng Gao 2011 als seinen Gast kennen. Damals war Dittrich noch Direktor des «Europäischen Hofs» in Engelberg, einst Schmuckstück der Belle Epoque. Gao bezog ein Doppelzimmer mit Frühstück für 180 Franken, «sehr unkompliziert» sei er gewesen, erinnert sich Dittrich. Gao sondierte die Lage, nachdem sich die deutsche Besitzerfamilie Leibrecht entschieden hatte, den «Europäischen Hof» zu verkaufen. Um Spekulanten abzuhalten, legte das Engelberger Stimmvolk im Baureglement fest, dass auf dem Areal ein Hotel mit mindestens vier Sternen gebaut werden müsse, zudem solle der angrenzende Kurpark weiter allen zur Verfügung stehen. Das überforderte die meisten, die zur Brautschau kamen. Nicht aber Herrn Gao. Der hatte sich beim Volkswirtschaftsdepartement Obwalden nach Investitionsmöglich­keiten im Kanton erkundigt und war nun fündig geworden.

Gao «bat» das Bauunternehmen Eberli, das Projekt zu verfolgen, erklärt Alain Grossenbacher, der CEO des Sarner Unternehmens, die fruchtbare Bekanntschaft. Nachdem Gao in Engelberg unterzeichnet hatte, kaufte er 2012 von der Eberli-Gruppe für 52 Millionen Franken das Hotel Frutt Lodge und Spa auf der Melchsee Frutt. Kurz zuvor hatte sich Gao am Aktienpaket der Generalunternehmung beteiligt. «Er wünschte sich eine engere Anbindung an seinen Partner in der Schweiz», sagt Grossenbacher, unter anderem, «damit er sich als ausländischer Investor im schweizerischen Gesetzesdschungel zurechtfindet.» Gemeinsam baute man die neue Family Frutt Lodge und verband die beiden Hotels mit einem 8 Millionen Franken teuren Tunnel. Weitere kleinere Gasthöfe in der Gegend packte man auch noch in den Einkaufskorb.

Mit Eberli machte sich Gao an die Übernahme des «Grand Hotel Palace» in Luzern, zudem zeigte man Interesse, die Jungfrau Group zu übernehmen, zu der das «Victoria-Jungfrau Grand Hotel & Spa» in Interlaken, das «Bellevue Palace» in Bern, das «Eden au Lac» in Zürich und das «Crans Ambassador» in Crans Montana gehören. Seit zwei Jahren gebe es keine gegenseitigen Beteiligungen mehr. Eberli stellt für Gao nur noch das Hotel in Engelberg fertig.

Näher als an Thomas Dittrich kommt man nicht an Herrn Gao. Auf mehrere Anfragen über diverse Wege folgt Schweigen. Vielleicht ist es derzeit nicht einfach als Chinese. Selbst wenn man reich ist. Oder gerade deswegen. «Er ist zurückhaltend», entschuldigt ihn Dittrich. Viel beschäftigt. Ständig unterwegs. Mehrere Wohnsitze.

Vor allem ist er wohl vorsichtig, seit die Shenzhen-Börsenaufsicht 2019 Fragen zu Gaos Firmenunterlagen stellte – unter anderem, weshalb der Bau seines ­Forschungszentrums in Engelberg derart viel Geld ­verschlinge. Als sich daraufhin ein Reporter des chinesischen Newsportals «Yicai Global» das Forschungszentrum anschauen wollte, fand er stattdessen die Baustelle für ein Luxushotel vor. Gao rechtfertigte sich in den Medien: Das Hotel sei Teil eines Komplexes, der durchaus für Konferenzen und Mitarbeitertrainings genutzt würde – und beschimpfte gar einen Journalisten des Staatsfernsehens CCTV: «Wie können Sie es wagen, mir nachzuspionieren?» Für einen chinesischen Milliardär eine eher rhetorische Frage.

Dittrich war mehrfach in Shenzhen im Hauptsitz der Han’s Laser Technology Company. Gao ist der Gründer und CEO des Laser-Imperiums, das sich auf die Herstellung von Lasergeräten spezialisiert hat und unter anderem Zulieferer von Apple oder Samsung ist. Er beschäftigt über 10 000 Mitarbeiter. Das ist mehr als doppelt so viel, wie Engelberg Einwohner hat. Der unscheinbar wirkende Herr Gao ist in Wahrheit ein Riese.

Seit das kommunistische China 1980 damit begann, im Land Sonderwirtschaftszonen einzurichten, wuchs die Wirtschaft über sich hinaus. Shenzhen ist die bedeutendste dieser Zonen. Multimillionäre spriessen wie Shiitake-Pilze aus dem Boden. Mit einem Vermögen von geschätzt 1,2 Milliarden Dollar steht Gao gemäss der aktuellen Forbes-Liste auf Platz 353 der Reichsten weltweit. Und das, weil er als junger Mann verhindern wollte, dass einer seiner Freunde einen deutschen Laser kauft. Yunfeng Gao, frischgebackener Ingenieur mit Abschluss an der Beijing-Universität für Luftfahrt, riet dem Freund vom ausländischen Produkt ab und versprach, ein besseres Produkt zu entwickeln: Made in China.

Er erinnere sich an «emsige Schaffer» in China, erzählt Dittrich. Besonders beeindruckte ihn, wie es möglich ist, mehr als 1000 Mitarbeiter innert 30 Minuten in der Betriebskantine zu verpflegen. «Imposant», sagt er, «das geht rascher, als wenn bei uns zehn anstehen.» Gearbeitet wird an sieben Tagen. Ferien gibt es so gut wie keine. Wer eine Gruppenreise in die Schweiz machen will, sammelt dafür drei Jahre lang Freitage. Nach dem Lunch folgt jeweils eine dreiviertelstündige Mittagsruhe, die von oben verordnet ist. Jeder Mitarbeiter hat an seinem Arbeitsplatz eine Liege eingebaut. Rausklappen, Licht aus – und alle dösen. Das steigert die Leistungsfähigkeit. «Macht durchaus Sinn», sagt Dittrich.

Wenn die Parteiführung sagt, so machen wir es, dann muckst keiner auf. Die Masse funktioniert. Werten will er das nicht. Ob derzeit noch weitere Käufe seines Chefs geplant sind? «Nicht im Hotelbereich», sagt Dittrich. Im Moment wolle man die Häuser «Palace» in Luzern und «Palace Engelberg Titlis» auf den Markt bringen. Beide Eröffnungen hinken hinterher. In Engelberg ganze drei Jahre: Einsprachen, gestiegenes Grundwasser und Corona legten die Baustelle immer wieder lahm. Ein wenig erinnert es an biblische Plagen. Das Projekt wurde vollständig überarbeitet und heruntergeschrumpft. Es gab Zeiten, da war der gute Herr Gao gar nicht mehr so gut drauf, erzählen Vertraute.

Yunfeng Gao mag in der Zentralschweiz als Hotelkönig gelten – der einzige Chinese, der in Hotels investiert, ist er bei weitem nicht. Meist sichern sich die Investoren Prestigeobjekte. Der bekannteste Fall: der Kauf des New Yorker Luxushotels Waldorf Astoria durch eine chinesische Versicherungsgesellschaft. Aber auch der Club Med, die Hotelgruppen Radisson und Steigenberger sowie ein Anteil der Hilton-Kette sind chinesisch.

Grand Hotels sind eher Sammlerobjekte, bereichern das Portfolio, auch wenn sich in den seltensten Fällen hohe Renditen damit erzielen lassen. Selbst wenn der Anleger bereit ist, Millionen für die Renovation seines Objekts einzuschiessen, kann es sein, dass nicht einmal die Kosten für den laufenden Betrieb auf dem gewünscht hohen Niveau erwirtschaftet werden. Schweizer interessieren sich nur beschränkt für solche Objekte. «Die wollen in der Regel einen Return on investment in einem vernünftigen Zeithorizont», sagt Thomas Allemann, Mitglied der Geschäftsleitung von Hotellerie Suisse. Für einen Ausländer stehe indes die Sicherheit der Investition im Vordergrund. Richtig losgelegt hätten die ausländischen Käufer in den 1990er Jahren. Die Gründe: starker Franken, Boden als beschränktes Gut und damit im dauerhaften Aufwärtstrend sowie eine Demokratie, die vor einem Staatseingriff schützt.

Von den 4500 Hotelbetrieben in der Schweiz sind die kleinen oft noch in Schweizer Hand. Bei Ketten und grossen Häusern hingegen stehen Investmentfonds dahinter, die ihr Portfolio diversifizieren und so das Risiko breiter abstützen wollen. «Wer in diesen Investmentfonds am Ende das Sagen hat, ist oft nicht klar ersichtlich», sagt Allemann. Luxushäuser seien nur noch für Mäzene oder Milliardäre erschwinglich, als Hobby oder um Geld langfristig als Diversifikationsstrategie anzulegen.

Das muss nicht schlecht sein, aber es kann: Allein in der Region um den Thunersee wurden das Hotel Splendid in Interlaken, der «Bären» in Krattigen sowie der «Hirschen» in Gunten von ausländischen Investoren gekauft. Diese Häuser seien entweder geschlossen oder hätten einen signifikanten Nachholbedarf beim Unterhalt, sagt Allemann. Allerdings: Auch Schweizer Besitzer hätten Hotelleichen zu verantworten: «Das Grand Hotel in Locarno modert seit Jahren vor sich hin.» Allemann zieht einen seriösen Investor – ganz gleich, aus welchem politischen System und Land dieser kommt – dem Verfall eines Objekts vor. Schliesslich würden das Hotel und die Investitionen in unserem Land bleiben, sagt er, «auch wenn sich ein ausländischer Investor aus der Schweiz zurückzieht».

China ist ein kommunistisches Land mit einem autoritären Regime, das weiss man schon seit längerem. Neu ist, dass Peking sich als Weltmacht versteht und auch so auftritt. Bisher haben sich viele Hoffnungen des Westens nicht erfüllt: Es sieht nicht so aus, als habe der Handel den Wandel in Richtung Demokratie vorangetrieben, und es ist bisher auch keine chinesische Mittelklasse aufgetaucht, die politische Reformen fordert und durchsetzt. «Einen Vertrauensvorschuss verdienen chinesische Investoren nicht», sagt Sebastian Heilmann. Der Professor für Politik und Wirtschaft Chinas an der Universität Trier beobachtet die Entwicklung des Landes seit vielen Jahren – und bezeichnet den aktuellen Zustand als «besorgniserregend». Er schätzt den politisch-strategischen Gehalt von Tourismusinvestitionen als gering ein, weil die chinesische Regierung in den letzten zwei Jahren im Ausland explizit «produktive» Kapitalverwendung für Industrie- und Technologieinvestitionen bevorzugt habe. Tourismus hingegen ist eine Luxusbranche, die Chinas Machthabern wenig Einfluss bringt. Im Gegenteil – die Investition in Luxushotels steht seit dem Debakel um das New Yorker «Waldorf Astoria» in einem politisch ungünstigen Licht, «weil viele hochrangige Funktionärsfamilien bis dato solche Investitionen offenbar für Kapitalflucht oder Geldwäsche genutzt hatten», erklärt Heilmann.

Die Erfolgsgeschichte der Reichen beschreibt die Entwicklung der gesamten chinesischen Volkswirtschaft. Vor einigen tausend Jahren gehörte in China der ganze Reichtum dem Kaiser. Unter den Kommunisten gehörte das Geld der Regierung – und reich werden konnte nur, wer sein Geld innerhalb der Partei, der Armee oder mit fragwürdigen Geschäften machte. Heute geben geschäftstüchtige, unabhängige Unternehmer dem Reichtum ein positives Image.

Es liegt auch an ihren Ideen, dass China es zu bemerkenswertem Vermögen brachte, seit der Reformer Deng Xiaoping 1978 die wirtschaftliche Öffnung eingeleitet hatte. Eine Parteimitgliedschaft ist für die Unternehmer zwar nicht zwingend, aber Kontakte zur Parteiführung gehören dazu, um erfolgreich tätig zu sein. Ein Geheimnis ist das nicht. Ebenso wenig, dass ein Unternehmer jederzeit bei der Kommunistischen Partei in Ungnade fallen und damit Vermögen und Freiheit verlieren kann. Nach Einschätzungen von NGOs sind in den letzten Jahren Hunderte schwerreiche Chinesen in China verschwunden. Der Aktionsradius des chinesischen Staates im Ausland sei viel grösser, als die meisten denken, sagt Heilmann. «Politik und Business sind eng verwoben.»

So lässt sich auch erklären, weshalb der chinesische Botschafter als «Schutzherr der Aussenwirtschaft» gerne beliebte Ausflugsziele seiner Landsleute besucht und Touristiker zu sich in die Botschaft einlädt. André Küttel hatte die Ehre – wie viele seiner Branchenkollegen. Vermutlich wird auch Andres Lietha als Engelbergs neuer Tourismusverantwortlicher bald vom ­Neujahrsbuffet der chinesischen Botschaft naschen. Vielleicht wird er wie seine Vorgänger dem Vortrag des Botschafters lauschen, der um Verständnis dafür bittet, dass ein Land mit 1,4 Milliarden Menschen totalitär geführt werden müsse. «Not my business», mag sich der eine oder andere denken und in die Teigtasche beissen. Hauptsache, die chinesische Mittel- und Oberschicht fährt bald wieder ein und hinauf auf die Berge, in die auch Gao sich verliebte.


Von Gudrun Sachse, erschienen im NZZ Folio "China und wir", September 2020.